Kolumne Mai 2013

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Dass die Zeit manchmal schnell vorbeirauscht, brauche ich Ihnen natürlich nicht zu erklären. Dass dieselbe Zeit manchmal jedoch schleppend langsam vorankriecht, bedarf aber vielleicht etwas mehr Worten.

Wenn Sie irgendwo sitzen und warten beispielsweise im Wartezimmer des Doktors, im Auto auf Ihren Sohn, der seinen Zug verpasst hat oder einfach auf die Ankunft von Freunden auf ein gemütliches Abendessen bei Ihnen zu Hause, dann kann die Zeit oft nervend langsam, scheinbar beinahe auf der Stelle tikken. Was die meisten Menschen dann tun, ist sich irgendwie zu bewegen, einen Finger, eine Hand, ein Bein, eben mal herumlaufen, etwas Lesen gehen, oder etwas auf dem Handy herumspielen, irgendwas tun, das für Ablenkung sorgt. Nun, dann nehme ich einfach mal an, dass Sie eine Krankheit, wie ALS haben und träge in der Eingefrorenheit der Zeit fest sitzen, verbunden mit der materiellen Welt, woraus sie auch kaum heraus können und dass Sie nicht mehr nervös mit Ihren Fingern auf dem Tisch spielen oder Ihr Bein, als wäre es das Pendel einer Uhr schaukeln können, um so die Zeit zählen zu können oder um einfach so, etwas zu tun. Ich meine, dass  viele mit der Krankheit – oder etwas allgemeiner, mit einer gewichtigen Erkrankung – sich auch permanent in einer Art immanenten Wartezimmers aufhalten, durch ein fremdartiges Schicksal dort hinein gezwungen, wobei man sitzend auf was noch folgt wartet. Denn das jene, was noch folgt, könnte schlimmer sein als das, welches bereits ist, es ist das bleischwere und tiefgraue Warten. Aber es gibt da auch und ganz besonders ist dort ein Schimmer von Hoffnung in der Ungeduld, ein Funken, dass etwas positives passieren wird, eine unerwartete Wendung. Etwas, wie in einem Hollywoodfilm, etwas wozu man spontan ‚wow‘ sagt.

Warten auf ein ‚Cure for ALS‘, um das Schlagwort der ALS Liga zu gebrauchen. Ich denke, dass - sollte ich ein ALS-Patient sein und dann doch hätte warten müssen - ich lieber auf so eine Genesung, ein ‚cure‘ hätte warten wollen, als auf eine Bestätigung dessen, was das Krankheitsbild und seine Entwicklung mit sich bringen könnte. Es ist eine Frage des Schwerpunkts, darüber wie und worauf man seine Aufmerksamkeit richtet. Es ist eine Frage des Umgangs mit der vorhin genannten Zeit. Wenn Sie auf etwas Schönes warten, dann geht die Zeit des Wartens doch viel schneller vorbei, als wenn man ziellos im Wartezimmer des Doktors wartet, der doch jedes Mal zu spät kommt, aber man gerade nicht weiß, um wie lange.

So ein wunderbarer Durchbruch in der Forschung zu einem Heilungsmittel gegen ALS, ist, was tatsächlich wie ein fantastischer Traum anmutet, etwas das für einen Film und wahrscheinlich nie gänzlich das ist, wie die Realität irgendwann sein wird, aber deshalb es ein schöner Traum zu hegen ist, eine Art Stütze für jedermann, der selbst eine Krankheit hat und die Familien, die indirekt davon getroffen werden. Ich bin der Meinung, dass es dann oft bei der Verwirklichung darauf ankommt, dass man mit genug Menschen an etwas, an einen Traum glaubt und dass man so irgendwann, auf die eine oder die andere unerklärliche Weise, einen Teil vom Traum wahr sieht werden. Weil die Anzahl von Beteiligten immer wichtig ist, ist es von Bedeutung, dass auch der Traum durch immer mehr Menschen getragen wird. Ich denke, dass dies dann wirklich ein starkes Echo auslösen wird und dass dann die Forschung es hin zu etwas Fruchtbarem bringen kann.

Weil wir es auch aus den Filmen kennen, dass Wunder nicht gerade so mal passieren und weil oft hinter den Bildschirmen viel Arbeit und Mühe und Mittel nötig sind, um die Realität so zu beschreiben, so dass die anderen sich einen Traum vorstellen können, schafft es auch dieser Traum nicht, ohne die nötige materielle Unterstützung. In erster Instanz denken wir an Geld, das Budget für wissenschaftliche Forschung. Dies ist auch eine starke Priorität der ALS Liga in allen ihren Projekten und in jeder Kapitalbeschaffung, die sie tut: für die Forschung, so viel möglich Geld einzusammeln. Die Mittel und Gelder sind - und das ist verständlich für so etwas, wie eine unheilbare Krankheit - immer zu knapp, um damit gerade den Rahmen zu schaffen, worin Forscher an der Verwirklichung des Traumes arbeiten können: A cure for ALS.

Ich wollte eigentlich mit der Zeit beginnen, die schnell vorbei zieht, wenn man weiß, was zu tun ist. Bei mir ist das in den letzten Wochen ganz sicher der Fall gewesen. Sie zog so schnell an mir vorbei, dass es Zeit wurde, um eine zweite Kolumne zu schreiben. Ich hatte sie während der letzten paar Wochen nicht mehr in den Augen behalten, während ich mit fast allen Mitarbeitern und Freiwilligen, die sich für die ALS Liga einsetzen, Bekanntschaft machen konnte und die Organisation als Ganzes etwas besser kennen lernen konnte. Dabei muss ich zugeben, dass es für mich jedes Mal etwas der Gewöhnung bedarf,  eine ganze Reihe von Menschen und Gesichtern, eine Büroumgebung mit Computer und vielem mehr kennen zu lernen. Trotz allem war es recht amüsant, und es lief zum Besten, und ich muss sagen, dass ich – nun mal ehrlich – überrascht  bin über das allgemeine Niveau von Professionalität der Liga und ihre Mitarbeiter. Vielleicht ist es merkwürdig dies zu sagen, denn ALS ist natürlich eine seriöse Angelegenheit, aber ich bin früher auf Büros von verschiedenen Einrichtungen aus dem Finanziellen Sektor gewesen und stellte fest, dass dort oft der allgemeine Grad der Professionalität hinter den Bildschirmen nicht annähernd so hoch war. Der Unterschied befindet sich dann auch in den Herzen. Denn dies bemerke ich schon bei den meisten Freiwilligen, dass sie eine Art Engagement - etwas was aus dem Herzen kommt, manchmal grösser oder manchmal kleiner  - mittragen. Eine Art Hingabe oder so etwas. Das ist immer schön, und dem kommt man heutzutage nicht so schnell entgegen.

Da gibt es wirklich Freiwillige in übertreffender Anzahl, bei denen die Begeisterung noch einen Stück darüber hinaus geht, weil sie ein hohes Maß an persönlicher Hingabe mitbringen, sei es weil sie selber die Krankheit haben, oder weil sie nahe Angehörige mit dieser Erkrankung in der Familie haben oder gehabt hatten. Bei ihnen merke ich eine tiefverwurzelte Entschlossenheit, etwas bei dem Begeisterung mehr übergeht in eine Berufung. Es ist immer wunderbar solchen Menschen zu begegnen und mit ihnen zusammenzuarbeiten, weil sie genauso wie große Künstler, völlig aufgehen in dem was sie tun und für sie es nahezu nichts anderes mehr besteht, außer dem, was sie tun. Ich denke auch, dass sie im großen Maße einen Stempel auf die Organisation drücken und auch die Begeisterung bei anderen Freiwilligen anregen und am Leben erhalten. Lassen Sie mich jetzt daraus keine Lobesrede schreiben, nur wollte ich es doch gesagt haben, denn Ehre wem Ehre gebührt.

Inzwischen finde ich den Weg durch die Gänge des alten Sint-Raphaëlziekenhuis schon etwas leichter, oder eigentlich besser gesagt, den direkten Weg zum Ein- und Ausgang, zum Lift bis ins vierte Stockwerk, wo sich die ALS Liga befindet. Sehr einfach, und muss jetzt nicht mehr durch das halbe Krankenhaus navigieren. Sehr praktisch!

Eigentlich sind Lösungen wohl oft so, man denke an das ganze Labyrinth, das man erkunden, durchgründen und dann analysieren muss, an einen Weg, den man sich darin erarbeiten muss, ehe man einen Fluchtweg findet. Wobei es oft irgendwo längs einem anderen Weg einen schrecklich einfachen Zu- und Ausgang gibt, man aber zunächst nicht so einfach durch das Durcheinander hindurchblicken kann. Dies für mich ist wissenschaftliche Arbeit, das Suchen, das Finden eines Heil- oder eines Gegenmittels gegen eine Krankheit wie ALS, oder so etwas Ähnliches. Oft kommen spektakuläre Entdeckungen und Wendungen aus einer kleinen Gasse, eine unvorhersehbare Wendung, ein purer Zufall oft, oder als Folge einer Dummheit selbst, etwas was so verrückt oder so dumm ist, dass davor niemand daran gedacht hat. Und das nennen wir dann einen Geniestreich, zumindest wenn es zu etwas Konkretem führt, anderenfalls bleibt es einfach dumm oder verrückt. Das würde ich noch als Grund dafür nennen, um genug Mittel für die Forschung vorsehen zu können, dann könnten mache auf erster Sicht weniger interessante Wege doch noch untersucht werden, Experimente ausgeführt werden, und dann kann eventuell etwas, was niemand zu erwarten hätte gewagt zu einer Lösung führen?

Ich werde Ihnen jetzt nicht noch mehr gute Argumente liefern, weshalb Geld spenden für Wissenschaftliche Arbeit für alle ALS-Patienten so wichtig ist auf lange Hinsicht. Das ist die einzige Hoffnung auf eine echte Veränderung, auf etwas Besseres, als elektrische Rollstühle, Sprachcomputer und Kinn-steuerungen. Es ist wunderbar, dass diese Hilfsmittel bestehen natürlich, letztendlich aber ist es ein kleiner Trost, wenn man sich in dieser Situation befindet.

Weil die ALS Liga momentan eine Aktivität in den ‚sozialen Medien‘, wie es so schön heißt, am Laufen hat, also Facebook für dich und mich, ruf ich Sie auf, um gerne selbst über Ihr Facebook-Konto die ALS-Seite aufzusuchen und ein ‚Gefällt mir‘ zu leisten. Jedes ‚Gefällt mir‘ bringt nämlich einen Euro, der zur Forschung geht und wird geschenkt durch einen großzügigen Sponsor.

Und sag nun doch einmal selber, wenn neben Dir einmal auf dem Bürgersteig ein ALS-Patient stehen würde, der Hoffnungslos in seinem Rollstuhl säße und Dich fragen würde: „würdest Du den Euro, der da auf dem Boden liegt nicht mal für mich aufgreifen?“, warum sollte man das dann nicht eigentlich tun? 

 

Tristan Herftijd,

Sugar Mountain, Mai 2013

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