Kolumne Mai 2014

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Sie werden es allmählich schon mitbekommen haben, all die visuelle Verschmutzung an Ihrer Straße, an den großen Wegen entlang und an vielbefahrenen Kreuzungen, an denen sich unsere Politiker selbst anpreisen, geklebt auf Holzplakaten, die nach und nach in den letzten Wochen wie Pilze aus dem Boden schießen: es sind Wahlen. Im Anlauf auf die Wahlen ist die ALS Liga nicht ruhig gesessen, strebte hingegen aktiv, um ihre eigene Agenda – welche dieselbe ist, wie die jedes anderen pALS – auf die politische Landkarte zu setzen. Mit Erfolg, kann ich wohl sagen, dem ich beim Konferenztag auf dem Universitätsklinikum UZ Leuven zu Gasthuisberg Zeuge wurde, die in den Labors von Prof. Van Damme stattfand und einen sehr interessanten Vortrag, von Prof. Robberecht, für die eingeladenen Politiker gegeben, beiwohnte. Er versuchte es mit seiner ausgezeichneten Redekapazität die Herren und Damen Politiker in die Krankheit ALS und die Folgen für Patienten und Familie einzuweihen, und wusste es hervorragend die Bedeutung der Forschung an der Krankheit ALS hervorzuheben. Evy Regiers gab anschließend eine Verdeutlichung über die ALS Liga und seiner Funktion, und beleuchtete sehr gut die Krankheit vom Standpunkt des Patienten aus. Auch die klaffenden Spalten und Lücken in der Unterstützung der öffentlichen Hand wurden hier mit in die Agenda aufgenommen. Danach durften die Gäste auch eine Rundleitung durch die Laboratorien, in denen Fische, Mäuse und Fruchtfliegen als Labortiere/Modelle verwendet werden genießen, um so für Interesse und Diskussion zu sorgen. Die Konferenz war durch die ALS Liga in Zusammenarbeit mit Prof. Van Damme organisiert. Auch die Tatsache, dass Danny als Vorsitzender und als Patient anwesend war, hat sicher eine sehr konfrontierende Erfahrung mit der Krankheit möglich gemacht.

Von den anwesenden Politikern waren Bruno Tobback, Peter Van Rompuy und Theo Francken vielleicht die meist bekannten, aber auch Kollegen der anderen Parteien, und anderen Regionen waren sicher anwesend. Es gab natürlich auch ausreichend Zeit und Platz für Diskussion in den Korridoren und während eines Lunchbuffets am Nachmittag, um miteinander in Kontakt zu kommen und sich auszutauschen.

Eine Anzahl Feststellungen sind dann doch bemerkenswert. So scheint es, dass die Belgische föderale Regierung eigentlich ein Budget von 0,00 € für Forschung an der Krankheit ALS vorgesehen hat. Das ist wirklich als arg armselig zu bezeichnen. Die ganze Forschung wird demzufolge vor allem durch Schenkungen, Sponsoring und Geld aus dem Ausland betrieben. Eigentlich ist dies bereits unannehmbar für eine Gemeinschaft, die sich selbst noch als „sozial“ benennen will, um dann bei einer Krankheit dergleichen sich so einfach und billig aus dem Staub zu machen. Auch bezüglich der Hilfsmittel und der Problematik der Altersgrenze von 65 Jahren kommt dies einem Kafkaesken Zustand gleich, der in einem „sozialen Wohlfahrtsstaat“ viel besser hätte geregelt werden müssen oder bereits schon geregelt sein müsste. Dass vielleicht die Zielgruppe klein ist, sollte für die öffentliche Hand keine Rolle spielen. Sie hat die Pflicht, um für alle Bürger zu sorgen, der sogenannte Pflegestaat und das ganz speziell und mit Sicherheit für alle die, die am schwächsten dastehen. Auf was wartet man denn noch?

Eine weitere Feststellung ist es, dass man in den angelsächsischen Ländern scheinbar viel mehr Spenden aus privaten Geldern leistet – die sogenannte Philanthropie. Dies, im schrillen Kontrast zu unserem belgischen Mitmenschen, der sich wahrhaftig global auch mit nach rechts richtet, sich amerikanisiert und privatisiert, um sich so als modern und erfolgreich zu profilieren, wobei doch diese Philanthropie hierzulande noch ernsthaft fehlt. Das verunstaltet den Stil und guten Geschmack derer wirklich, die damit Erfolg haben, nicht die gute Geste aufbringen zu können, größere Schenkungen für einen guten Zweck zu tun. Es scheint, dass man irgendwo doch noch mit dem „Bauer Coenen“-Komplex von dem reich gewordenen, verschämten, armseligen Vlamen zu tun hat, der nur den materiellen Gewinn im Auge hat, als handele es sich um den Ertrag der Ernte.

Es wird Zeit, dass dort eine Veränderung hineinkommt, dass man einsieht, wie und womit man einen Unterschied bewirken kann und ja, nebenbei selbst sein persönliches Ego schmeicheln und ebenfalls mit ins Spiel bringen kann. Und das wird möglich durch Helfen von Schwächeren. Es ist nicht jenes Helfen mit der Schale in der Kirche mit dem Klingeln und Rascheln, nein, sondern mit echt anständigen Schenkungen, die für die Forschung einen substantiellen Unterschied ausmachen können. Da können Sie sich damit selbst einen guten Nachtschlaf und Seelenruhe verdienen – das kann ich Ihnen versichern – und das Gefühl von Glück, das Sie damit entstehen lassen ist ansteckend und wird auch bei Ihnen entstehen. Man sagt oft, dass Glück nicht zu kaufen ist. Das ist wahr, aber etwas Freiwilliges zu tun, um anderen zu helfen ist nichts Kommerzielles und gerade deshalb findet man darin das Glück. Vielleicht haben Sie dann das Einsehen, jetzt bereits, oder später in Ihrem Sterbebett oder manche andere erst danach.

Es gibt anscheinend schon noch Hoffnung, wenn beispielsweise bekannte Menschen, Topfiguren die Krankheit bekommen würden. Dann geht es manchmal schon, dann gehen sehr wohl die Augen von vielen auf.

Oft ist es wohl so, wenn VIP’s oder Topmanagers selbst durch eine ernsthafte Krankheit getroffen werden, dass sie einen Spendenfonds errichten oder mehr Wohltätigkeit tun, oder mithelfen, um eine Krankheit zu ‚promoten‘. Dies sagt schon viel aus und es ist wirklich so, dass wir durch solche Vorbilder von Topmenschen, die die vorderste Stelle einnehmen in der Philanthropie auf eine Veränderung hoffen dürfen.

Könnte diese Philanthropie hier eine etwas spontane Form entwickeln, dann würden wir auch weniger die Neigung zeigen, alles über den Staat und den politischen Weg zu regeln („wir bezahlen doch schon genug Steuern“). In diesem Sinn ist das soziale in dieser alt-Europäischen Demokratie noch immer eine Form aufgezwungenen „Sozial-seins“, das per Gesetz mit Steuerlichen Abzügen und anderen kleinen Tricks zustande kommen muss, aus einem Block grauer Masse von Minderheiten und Schwächeren in der Gesellschaft, die hier noch etwas Überschuss haben. Wenn man am sozialen Aspekt der Gesellschaft vorbeisieht, dann vergisst man oft, dass hiermit auch das Zusammenleben steht oder fällt. Und das ist wirklich kein politisches Statement, sondern präzise ein Newton‘sches Gesetz. Warum sollte der Mensch hinter der Müllabfuhr Ihren Abfall abholen kommen, wenn Sie ihn nicht im Gegenzug respektieren und unterstützen?

Ich verstehe nicht gut warum Menschen mit zu viel Geld nicht viel mehr Spenden leisten, Spendenfonds gründen oder Anderen finanziell helfen. In den Vereinigten Staaten tut man das sehr wohl und oft mit echt großen Mitteln. Was bringt denn der Geldüberschuss sonst noch auf?

Er leitet zur Spielsucht und in eine Form von Hypermaterialismus, in dem ich nur ein psychologisches Kompensieren von Lücken auf anderen Ebenen vermuten kann. Meine Erläuterung ist deutlich, es ist angemessen, dass wer richtig erfolgreich ist, dies dadurch auch sichtbar machen soll, dass man ein sozialer Akteur ist, freiwillig und persönlich. Nur dann kann man beispielsweise gegen eine Krankheit, wie ALS durch Forschung und Wissenschaftliche Arbeit gewinnen. Unser Vertrauen in die Wissenschaft  ist schließlich immens groß, warum also dort nicht mehr investieren? Denn wenn es vom Staat selbst abhinge, würde alles viel zu langsam ablaufen und oft sein Ziel verfehlen. Letztendlich stimmt es auch damit überein, was ALS-Patienten selber wünschen: ein Heilmittel. Wie, das ist für sie gleich. Sie sind verzweifelt, die Uhr tickt unerbittlich schnell und sie greifen nach jedem Strohhalm, um sich retten zu können. Der Strohhalm kann der von Ihnen sein, aber dann müssen sie wirklich etwas tun, nicht morgen, sondern jetzt.

 

Tristan Herftijd,

Mai 2014, Liberation Park

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