Schutz vor Sauerstoffradikalen durch Manipulation von Sauerstoffsensoren

19-12-2013

Annelies Quaegebeur, Peter Carmeliet

Vesalius Research Center, VIB, KULeuven, Leuven
In unserer Forschung untersuchen wir, wie der Stoffwechsel bei Krankheiten wie ALS gestört ist und vor allem, wie wir den Stoffwechsel in Nervenzellen beeinflussen können, damit sie sich besser handhaben können und weiterhin funktionieren in der schädlichen Umgebung von ALS.

Der Stoffwechsel ist die Totalität der biochemischen Umwandlungen, die in einer Zelle stattfinden. Dabei denken wir sofort an die Energiegewinnung aus Zucker und Sauerstoff. Tatsächlich werden Zucker und Sauerstoff, die durch das Blut zugeführt werden, in der Zelle in Energie umgewandelt, ein Prozess, der in den motorischen Nervenzellen hauptsächlich in den Mitochondrien stattfindet. Letztere können daher als Energiefabriken betrachtet werden. Zum Stoffwechsel gehört aber auch die  Produktion neuer Bausteine für die Zelle, wie die Synthese neuer Proteine und Fette, die  zum Aufbau neuer Membranen benötigt werden. Auch schädliche Nebenprodukte des Stoffwechselzyklus müssen abgebaut werden: So wird Sauerstoff in den Mitochondrien zum größten Teil  zur Energiegewinnung genutzt, ein kleiner Teil geht jedoch durch die Bildung schädlicher Sauerstoffradikale verloren. Diese Sauerstoffradikale sind hochreaktive Sauerstoffpartikel, die mit DNA (genetischem Material), Proteinen und Fetten reagieren können. Dies kann die Funktion der Zelle stark stören. Daher verfügt eine Zelle über eine Reihe von Immunsystemen, die sogenannten antioxidativen Mechanismen, die die Sauerstoffradikale neutralisieren. Unter normalen Umständen besteht ein Gleichgewicht zwischen der Produktion von Sauerstoffradikalen und der Kapazität der antioxidativen Mechanismen. Wenn mehr Radikale produziert werden, als neutralisiert werden können, erhöht sich die Anzahl der Sauerstoffradikale in der Zelle, ein Phänomen, das wir oxidativen Stress nennen, was zu Schäden in der Zelle führt. 

Die motorische Nervenzellen, die Zellen, die systematisch bei ALS sterben, mit ihren Ausläufern, die sich 1 Meter weit ausbreiten können, sind sehr spezielle und komplexe Zellen. Sie sind aus verschiedenen Gründen sehr anfällig für Störungen im Stoffwechsel. Zum einen benötigen sie extrem viel Energie, um elektrische Signale über große Entfernungen zu leiten und zu übertragen. So wird das geringste Hindernis bei der Versorgung mit Zucker und Sauerstoff ihre Energieversorgung beeinträchtigen. Da andererseits der größte Teil ihrer Energie in den Mitochondrien produziert wird, erzeugen die Mitochondrien viele Sauerstoffradikale und die antioxidativen Mechanismen werden auf die Probe gestellt. Bei ALS zeigen die Blutgefäße Auffälligkeiten, so dass wahrscheinlich weniger Sauerstoff und Zucker in die Zellen gelangen. Darüber hinaus gibt es auch Hinweise darauf, dass  der Stoffwechsel selbst ineffizient ist: Die Mitochondrien bei ALS werden geschädigt, so dass sie weniger Energie produzieren, gleichzeitig aber auch mehr Sauerstoffradikale produzieren. Diese werden die Mitochondrien und andere Teile der Zelle weiter schädigen, was schließlich zum Tod der motorischen Nervenzelle beitragen wird.

Da Zellen auf einen ausgeglichenen Stoffwechsel angewiesen sind, um ihre verschiedenen Aufgaben zu erfüllen,  verfügt unser Körper über "Sensoren", die erkennen, wenn dieses Gleichgewicht gestört ist. Die Familie der Sauerstoffsensoren (PHDs) sind Moleküle, die zu dieser Gruppe gehören . Wenn zum Beispiel ein verminderter Blutfluss einen Sauerstoffmangel verursacht , wird dies von diesen Sauerstoffsensoren wahrgenommen. Aber selbst wenn die Menge an  zstündlichen Substanzradikalen in der Zelle zunimmt, reagieren die Sauerstoffsensoren darauf. Deshalb konzentriert sich unsere Forschung auf die Rolle von Sauerstoffsensoren (PHDs) bei ALS. Dazu verwenden wir ein ALS-Mausmodell, in dem die Mäuse die gleiche erbliche Anomalie im SOD1-Gen tragen wie einige ALS-Patienten. Aufgrund dieser Anomalie in der DNA sterben die motorischen Nervenzellen allmählich ab, ein Prozess, der auch bei der Maus zu Lähmung und Tod führt. Wir untersuchten die Wirkung einer Manipulation von PHDs auf die Muskelfunktion und das Überleben dieser ALS-Mäuse. Die Ergebnisse zeigen, dass die Beeinflussung von Sauerstoffsensoren zu einer Verlangsamung der Lähmung und einem verlängerten Überleben führt. 
Um besser zu verstehen, wie Sauerstoffsensoren den Tod motorischer Nervenzellen verlangsamen können, haben wir die Rolle von PHDs im Stoffwechsel von Nervenzellen untersucht. Wir beobachteten, dass die gleiche genetische Manipulation von PHDs den Zuckerstoffwechsel in Nervenzellen tiefgreifend verändert: Zucker wurde nun nicht nur zur Energiegewinnung verwendet, sondern auch, um die Kapazität des antioxidativen Mechanismus zu erhöhen. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Sauerstoffsensoren den Verlauf von ALS bei Mäusen beeinflussen können, indem sie oxidativen Stress reduzieren.
Diese Forschung identifiziert nicht nur Sauerstoffsensoren als neues Ziel bei der Behandlung von ALS, sondern wirft auch ein wichtiges Licht auf das Verständnis der verschiedenen Stoffwechselwege in einer Nervenzelle. Deshalb möchten wir der ALS-Liga noch einmal für ihre wichtige finanzielle Unterstützung dieses Projekts durch den Fonds "A cure for ALS" danken.

Übersetzung: Marijke Praet
 

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