Kolumne September 2003

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Über Sugar Mountain und den Wert von Rollstühlen

Vor einigen Tagen fragte mich jemand, ob ich in Amerika wohne. Zunächst war ich einen Moment überrascht, doch die Verwirrung schien aus der Tatsache hervorzugehen, dass ich meine Kolumne mit dem Namen ‚Sugar Mountain‘ unterschrieb. Ich musste darauf innerlich lachen, weil es etwas ist, das ich eigentlich von einem ehemaligen Lehrer von mir, auf der Akademie von Antwerpen abgeschaut habe, einem recht bekannten Kunstkritiker, der eine Menge schreibt, Bücher sowie Artikel in Zeitschriften. Er signiert seine Texte stets mit einem Phantasieort, einem der in Wirklichkeit nicht besteht, aber wohl so klingt als gäbe es den schon, einer Art poetischem Platz, an dem man, immer wenn man einen Text schreibt, versinkt und über Dinge nachdenkt, aber den man beispielsweise nicht ‚as such‘ auf Google Maps aufsuchen kann. Sugar Mountain ist mehr, ist wohl gleichzeitig ein echter Fleck, und wenn man auf Google Maps sucht, landet man irgendwo auf einem verlassenen Stück Erde der Vereinigten Staaten, den Great Smoky Mountains, im Staat North-Carolina, irgendwo unterwegs zwischen Charlotte und Nashville. Es ist ein Platz, wo man eher zum Skifahren geht und zum Bergwandern, aber wo weiter nicht wirklich viel passiert. Nun also referiere ich auch nicht buchstäblich nach diesem geographischen Ort in meiner Unterschrift, behalte ihn aber zur Verzierung bei und verweise nach dem lebenden Neil Young und seinem Lied mit Titel, Sie raten es: ‚Sugar Mountain‘. Und dies erklärt natürlich viel, weil ich nach der Poesie und der Musik dieses wunderschönen Songs verweise und auch auf die Figur von Neil Young selbst hindeute, die auch ständig eine Quelle der Inspiration für mich gewesen ist. Ich gebe hier den Text von dieser Nummer eben mit, so dass auch der Leser sieht, worüber ich schreibe. 

Der Song beschreibt ein Gefühl des Älterwerdens, das ich selbst wohl einigermaßen wiedererkenne und hege, und beschreibt eine Art Ort, der sich im Gedächtnis aus Erinnerungen bildet, zu dem man gerne zurück gehen würde, wonach man ganz bestimmt Heimweh hätte, hin zu einer Zeit in der man noch ein Kind war. Das ist jener Ort, Sugar Mountain also – so, wie im Song, an dem ich in meinen Gedanken am liebsten bin, und von wo aus ich schreibe und andere kreative Dinge tue.

Im Song handelt es natürlich noch von mehr, als nur dem, aber ich wollte zu meiner Signatur doch etwas aufklären, nachdem ich tatsächlich nicht in den Vereinigten Staaten wohne und weil es auch nicht mein Traum oder mein Wunsch ist, um dies zu tun. Hiermit sind alle Missverständnisse aus der Welt geräumt, wobei ich doch eben zugeben muss, dass ich selbst diese Mystik interessant finde, die ich rings um mich selbst aufbaue.

Über das Wohnen in den Vereinigten Staaten übrigens, dort habe ich irgendwann in meiner langen Vergangenheit, für meinen Job 6 Wochen verbracht und später bin ich dort noch wohl für eine kürzere Periode geblieben. Meinen persönlichen Erfahrungen drüben nach, würde ich nicht auf Anhieb dort gleich wohnen wollen. Man merkt erst wie geruhsam, wie sanft und sicher, ruhig und gelassen, kleinmaßstäbig, wenig lautstark und vor allem, wie gut beschützt auf sozialer Ebene Belgien ist. Obwohl es einem auffällt, dass es hier doch noch viel zu verbessern gibt. Und das ist etwas was jeden angeht, besonders jene Menschen, die plötzlich von einer ernsten Krankheit oder Rührung überfallen wird, oder die jene, die Gehandicapt werden und – im meist extremen Fall – die vielen ALS-Patienten, die sich gerademal noch bewegen können oder sprechen. Es ist unter anderem für alle diese Menschen, dass wir dieses soziale Dach hier bei uns in Europa haben. Und dass hiermit Menschen geholfen wird, bedeutet nicht, dass damit alle Probleme gelöst sind. Es deckt schließlich ganz sicher nicht alle Kosten und jedes Leid, aber ohne Unterstützung würden wir in eine Amerikanische Situation verfallen, wobei die Reichen ganz prima für sich selbst sorgen können aber die weniger betuchten aus dem Boot fallen und keinen Zugang zu allen Mitteln und Einrichtungen die wir haben bekommen. Für ALS-Patienten würde dies gleichbedeuten damit, dass man wegen Geldmangels einfach den ganzen Tag im Bett bleiben müsste, weil bereits jede Pflege- und „Mantelversorgung“ zu teuer ist und deswegen, weil ein elektrischer Rollstuhl einfach gesagt unbezahlbar ist. So eine Situation kann man sich wahrscheinlich schwer vorstellen und das soll am liebsten auch so bleiben. Denn es ist längst nicht so schlecht, so wie wir es bei uns hier geregelt haben und so sollte es auch in der Zukunft bleiben.

Ja, natürlich bezahlt man nicht gerne viel dafür, wenn man gesund ist, dennoch Vorsicht, denn diese Krankheit kann jeden überkommen, früh oder spät, jung oder alt, ohne Unterschied am Status oder an der Hautfarbe. Ich vermute, dass jeder etwas ältere ALS-Patient keinen einzigen Euro bedauert, den er früher als sozialen Beitrag an den Staat musste abgeben und jetzt dankbar ist, dass der Staat ihm jetzt helfen kann. Wenn man das soziale Netz, selbst wenn es ordentlich viel Geld kostet wegnimmt, würde man andere Erscheinungen, sowie Kriminalität, Obdachlose und allerhand Situationen aufkommen sehen, die man hier nur relativ wenig sieht, während diese in anderen Ländern, wie in den Vereinigten Staaten in viel größerem Umfang vorkommen. Nimmt man das weg, bekommt man Sub-Gesellschaften mit eigenen Regeln und Territorien, Sub-Nationen im selben Staat und Subkulturen, die nicht immer erwünscht sind.

Ich habe gerade vor Kurzem mein allererstes Kontaktwochenende für ALS-Patienten gut bestanden. Es fand im neuen Pflegezentrum ‚Middelpunt‘ statt, welches sich gleich an der Küste befindet. Von Freitagabend bis Sonntagabend waren wir dort mit etwa zwanzig Freiwilligen angereist, um uns den Patienten zu widmen. Ich war schon vorab voller Erwartung, aus der Neugier darüber, mit einer großen Anzahl Patienten in Bekanntschaft zu treten. Neben dem Fotografieren und dem Filmen mache ich auch Reportagen über die Liga und deshalb standen auch einige persönliche Interviews mit Patienten auf dem Programm.

 

Oh, to live on Sugar Mountain

With the barkers and the colored balloons,

You can't be twenty on Sugar Mountain


Though you're thinking that

You're leaving there too soon,


You're leaving there too soon.

It's so noisy at the fair

But all your friends are there

And the candy floss you had


And your mother and your dad.

Oh, to live on Sugar Mountain

With the barkers and the colored balloons,

You can't be twenty on Sugar Mountain


Though you're thinking that

You're leaving there too soon,


You're leaving there too soon.

There's a girl just down the aisle,

Oh, to turn and see her smile.

You can hear the words she wrote


As you read the hidden note.

Oh, to live on Sugar Mountain

With the barkers and the colored balloons,

You can't be twenty on Sugar Mountain


Though you're thinking that

You're leaving there too soon,

You're leaving there too soon.

Now you're underneath the stairs

And you're givin' back some glares

To the people who you met


And it's your first cigarette.

Oh, to live on Sugar Mountain

With the barkers and the colored balloons,

You can't be twenty on Sugar Mountain


Though you're thinking that

You're leaving there too soon,


You're leaving there too soon.

Now you say you're leavin' home

'Cause you want to be alone.

Ain't it funny how you feel


When you're findin' out it's real?

Oh, to live on Sugar Mountain

With the barkers and the colored balloons,

You can't be twenty on Sugar Mountain


Though you're thinking that

You're leaving there too soon,

You're leaving there too soon.

Die große Bereitschaft und Offenheit der Patienten haben mich ehrlich gesagt überrascht, weil ich mehr zurückhaltende Reaktionen erwartet habe, um sich mit mir offenherzig über deren Krankheit zu unterhalten.

Der Vertrauenskontext, den die Liga hier anbot, muss das Vertrauen der Patienten ‚untereinander‘ sicher verstärkt haben und half auch, um die Furcht und die Scham – so schien es aus einigen Gesprächen – weg zu nehmen, weil jeder hier dasselbe hat. Hierdurch war die Atmosphäre als entspannt und glücklich zu umschreiben. Allen Schicksalsschlägen zu trotz meine ich auch Glück gesehen zu haben bei den Anwesenden.

Und das ist gerade wofür wir das alles tun, der Grund warum die ALS Liga existiert; um ein Leben von ALS-Patienten besser und erträglicher zu machen, auf allen möglichen Gebieten.

Wenn das dann gelingt, dann habe ich viel davon zurückgewonnen, daran beteiligt gewesen zu sein. Ich bekomme das Gefühl, dass es mit meinem Zutun einen Unterschied für andere ausmacht, so dass ich mithelfen kann andere glücklich zu machen.

Und das gerade ist sehr wichtig für mich. Vielleicht ist es das selber, das einzige was für mich noch zählt in meinem Leben, wegen meinem eigenen Lebenslauf und dem Kampf, den ich darin gegen meine eigene Krankheit, beziehungsweise eine bipolare Störung führen musste. Ich habe mich damit abgefunden und versuche damit zu leben, so wie es geht und so wie es ist und wahrscheinlich für immer so bleiben wird.

Wenn man, so wie ich, alle möglichen Gewässer durchschwommen hat, sich selbst durch Wasserstrudel hat retten müssen und sich in der Schlucht, im Wasserfall auf einem Felsen wankend, festhielt, dann lernt man sehr viele Dinge zu relativieren und dann misst man Dingen Werte bei, die es wirklich wert sind.

Nun, das erkenne ich auch bei den meisten ALS-Patienten wieder, Menschen, die auch gezwungen wurden, um viele Dinge, sowie Geld, Erfolg, Karriere zu relativieren aber bei welchen sich die Aufmerksamkeit verschoben hat hin zu Familie, dem Glücklich sein, sich gut fühlen, selbstständig sein, der Bedeutung von Beschäftigung, dem Kampf gegen die Langeweile, dem Mut, um einen offenen Blick und ein großes Herz zu haben, um alles was es gibt und was noch kommt dort einzuschließen, aus einer Art Liebe zum Bestehen und gleichzeitig die eigene Vergangenheit tragen zu lernen.

Erfahrung würde man so etwas nennen können, Lebenserfahrung, die Auseinandersetzung mit allen Behinderungen, den Behinderungen des eigenen Körpers, den Behinderungen von anderen und den der eigenen Existenz. Dass aus so einer schwierigen Situation dann doch schöne Dinge hervorkommen können und man noch ein Gefühl von Glück erfahren kann, ist der Gipfel des Glücksgefühls. Ich denke, dass tief von innen heraus es das genau ist, was der Mensch selbst am allerwichtigsten, von allem was es gibt und was dort jemals zu finden sein wird findet – so einfach ist das.

Es hat sich nach diesem Wochenende ein gewisses Bild vor meinen Augen festgehalten. Das hat mit einigen persönlichen Interessen zu tun, wonach ich auch bei den Patienten gerne suche.

Ich stelle mir selbst gerne Fragen zu Themen, von klein auf bereits. Ich stelle mir selbst Fragen in einer Art Gedankenexperiment, bei welchem ich versuche mir vorzustellen, wie eine bestimmte Situation im echten Leben wäre, wenn ich mich darin befände. Nicht, dass man es eigentlich kann – sich vorzustellen wie es im echten ist, oder wie es sich anfühlt, weil die Realität vom Erleben von Dingen, Erfahrungen, Gefühlen in Wirklichkeit ganz anders ist, als wie wenn man sich es einbildet. Ein Bild, das mir in Erinnerung geblieben ist, ist das vom Verschieben von Dingen, Translationen von allerlei Werten, wie Hoffnung, Erwartungen und dem sich wohl fühlen. Dieses Bild findet seinen Ursprung in der Feststellung, wie wichtig der moderne Rollstuhl für die meisten Patienten ist. Man würde denken oder erwarten, dass Menschen eine Abkehr vom Rollstuhl haben würden, dass sie sich eigentlich darin nicht gut fühlten. Nun, nicht dass sie sich dort gerne reinsetzen natürlich, aber man merkt im Laufe der Krankheit und den damit verbundenen Erfahrungen, dass wenn man mehr und mehr verlammt, man in eine Situation geriet, in der man auf langer Sicht gerade noch mobil ist und so zu sagen, den ganzen Tag liegend oder sitzend im Sessel oder im Bett hinter dem Fernsehschirm durchbringt. Man kommt nur noch wenig raus, hat wenig soziale Kontakte und ja, natürlich kann man sich bei solchen Umständen depressiv fühlen. Ich kann dann ganz und gar verstehen, dass man in dieser Situation die elektrischen Rollstühle, wie ein Geschenk Gottes sieht. Für Patienten macht ‚vergessen‘ (um es so unverschämt zu nennen) und echt wieder ‚leben‘ einen großen Unterschied aus. Man kann mehr oder weniger autonom seinen Platz verändern und bewegen, mittels verschiedener Anpassungen und Veränderungen, die in der Umgebung durchgeführt wurden und mittels etwas Hilfe und Assistenz. Man kann zurück, ‚sozial leben‘ aufbauen und sich unterhalten. Es handelt sich hier um eine Verschiebung oder ‚Translation‘ eines Punkts in welchen man sein Glücksgefühl zurückfindet, der jedoch nicht der einstige gesunde Zustand ist, aber der Tiefpunkt des Krankheitszustands. Und von dort an geht es stätig besser.

Die ALS Liga spielt dadurch darin eine enorm wichtige Rolle, dass sie Menschen unter anderem mit allerhand Hilfe und Hilfsmitteln versorgen kann. Ich kann das Bild unterschreiben, auch aus meiner eigenen Erfahrung mit meiner Krankheit. Nicht dass mein Leben momentan so gewaltig ist, aber manchmal bin ich schon einfach dankbar, dass dort nichts weiterhin passiert, kein Aufkommen von Episoden von Depression oder von manischen Gedanken, Paranoia oder anderen seltsamen Gefühlen. Nein, manchmal bin ich einfach dankbar, dass alles einfach so ist, beziehungsweise auch alles besser ist als die Bilder und die Erfahrungen, die ich mit mir herumtrage aus früheren Zeiten, die mir als Referenzrahmen dienen, um die Grenzen zu sehen und zu fühlen, aber worüber ich nie gerne zurückdenke.

Auf jeden Fall kann man zurück unter die Menschen geraten und eine Anzahl praktischer Einschränkungen aufheben. Einfach die Freiheit, um selber hin zu gehen, wo man hin will, schafft ein Gefühl von Freiheit, dass im starken Kontrast steht zu der Situation in welcher man in den eigenen Sessel oder Bett strandet. Die Bedeutung von diesem Aspekt ist noch etwas komplexer, wenn man hinzurechnet, dass für die meisten Patienten über die ich sprach, ihren Erfahrungen nach das meist hinderliche an der Krankheit ALS, das hohe Maß an Abhängigkeit von anderen ist, im Allgemeinen, aber auch vom eigenen Partner oder Pfleger. Die elektrischen Rollstühle, so wie sie jetzt bestehen, sind sicher als fast vernünftig zu bezeichnen und bieten anscheinend einen wichtigen positiven psychologischen Effekt bei den Patienten mit ALS. Man kann sich hierdurch zum Teil aus einer aussichtlosen Situation entziehen (ich frage mich manchmal wie ALS vor hundert Jahren gewesen sein muss) und sich dadurch besser in seinem Fell fühlen. Die elektrischen Rollstühle machen für das Leben eines Patienten einen Unterschied von Tag und Nacht aus. Auch wenn die Krankheit ernst ist und die Wolken weiter tief über einem hängen, ist es doch etwas einfacher, um dank den Hilfsmitteln die tagtägliche Sorgen gut in den Griff zu bekommen. Und das ist Oft schon ein gutes Stück Verbesserung. Wie teuer die Rollstühle genau sind, das weiß ich nicht, aber die Größenordnung soll in der Gegend von einem kleinen bis zu einem mittelgroßen Auto liegen. Ich weiß nicht inwiefern das durch eine Krankenversicherung zurückbezahlt wird, aber eigentlich müssten die vollständigen 100% zurückbezahlt werden, genau deswegen, weil es sehr teuer ist aber viel mehr, weil es so einen großen Unterschied im Leben eines Patienten ausmacht. Auch bestimmte Optionen auf den Rollwägen nicht standardmäßig geliefert werden, wie zum Beispiel die Höhenverschiebbarkeit, sind aber scheinbar doch sehr praktisch sie zu haben, wenn man doch selbst so wenig mobil ist. Eigentlich sollten alle andere mögliche Optionen auch zurückbezahlt werden. Warum nicht bestimmte Hilfsmittel, die den Komfort dieser Menschen erhöhen den Patienten gönnen?

Es wird in unserer Gesellschaft viel Geld vergeudet an einem Haufen unsinniger, nutzloser Dinge, womit absolut niemandem gedient ist. Es hätte so viel mehr Geld in die Forschung nach der Ursache und von Behandlungsmöglichkeiten von ALS gehen müssen. Es sind nicht so oft Gelegenheiten vorhanden, um einfach durch materielle Unterstützung am Glück der Menschen beizutragen zu helfen. Hiermit ist es nun möglich und der Ertrag dieser Investitionen ist meiner Meinung enorm hoch.

Ich will hier über andere Hilfsmittel nicht hinwegblicken, wie beispielsweise den kleinen Sprachcomputern und Interfaces zur Computerbedienung. Ich muss wohl zugestehen, dass wenn ich ein Interview abnehmen muss, beziehungsweise ein Gespräch mit jemanden, der mühsam oder nicht mehr selbst sprechen kann führe, es recht schwierig wird – via einem Bildschirm worauf etwas geschrieben werden muss – zu kommunizieren. Es verlangt gegebenenfalls viel Zeit und Geduld, um etwas einzutippen, man kann oder macht sich nicht die Mühe, um alles was man normalerweise in Worten ausdrücken würde auszuschreiben, wodurch die Unterhaltung zäh verläuft. Wir sind es auch nicht gewöhnt, um so zu kommunizieren, um zu sprechen und gleichzeitig zu lesen. Ich denke, dass hier kurzfristig wohl noch Verbesserung möglich gemacht werden muss, um ein paar von den Einschränkungen aufzuheben. Ich vermute, dass die Technologie, die diese Kommunikationsform, dem Übergang von unserem Gehirn oder Sprachzentrum nach einem digitalen Apparat, ein Stück einfacher, schneller und normaler macht, wohl bald das Tageslicht sehen wird. Drücken wir dem die Daumen!

Über die elektrischen Rollstühle noch gesprochen, wohl auch dem Flaggschiff der ALS liga, und auch dem Symbol der Krankheit ALS selber. Ich kann mich nicht vom Eindruck entziehen, dass hier eine direkte Analogie mit dem Auto festzustellen ist. Vor allem für männliche Patienten bemerke ich doch, dass man Interesse in die verschiedenen Modelle und Marken, in allerhand Ausführungsoptionen, die Art Sitzbekleidung, die Bedienung hat. Auch die technische Spielereien für das Handy und Multi-media sind mit Sicherheit nicht zu verachten. Mit Sicherheit wird auch hier ein bisschen so umgegangen, wie man früher mit dem Auto das tat: wie schnell beschleunigt er, was für einen Wendekreis hat er, was ist seine Bremskraft und mehr von dieser Fachsimpelei. Ich finde das eigentlich wohl eine sehr schöne Feststellung, dass Menschen, ohne es selber wahrzunehmen, hier keine Translation, jedoch vielmehr einen Ersatz vollziehen. Der Rollstuhl nimmt auch mental jenen Platz ein, den das Auto früher hatte. Dass dieser Effekt vor allem bei Männern sich abspielt, ist dasselbe Phänomen, wie jenes bei Jungen und der Technik, oder so ähnlich…

Dass die Rollstühle schnell anziehen, das muss ich sicher noch sagen, und bremsen selbst vielleicht noch besser. Die funktionieren eigentlich verdammt gut, finde ich, wenn ich die so herumfahren sehe. Man muss sie natürlich gut lenken können, genauso wie es mit dem Auto ist. Ja, vielleicht ist es auch manchmal schön, um darin herumzufahren und ich hoffe, dass es das ist, denn das ist doch etwas was man gerne nebenher mitnimmt. In meiner Phantasie sehe ich bereits ein Zukunftsbild wobei Menschen sich, in einer Stadt, auf dem Büro mit Vorliebe sitzend fortbewegen. Mit einer Art futuristischer Rollstühle ….

Ein hinzukommender Aspekt der Rollstühle ist, dass sie sich elektrisch fortbewegen, also geräuschlos, fast unhörbar. Und darin lauert doch eine sichere Gefahr, sicher während eines Kontaktwochenendes, vor Zusammenstößen. Zum Glück gibt es beim „Middelpunt“ überall Glas, so dass man jederzeit und überall im viereckigen Konzept hindurchblicken kann, ob da jemand auf einen zusteuert. Toll, dass man daran gedacht hat. Auch ist die Vorfahrtsregel von rechts nicht immer für jedermann bekannt und gleich deutlich, und genauso wie auf der Straße gibt es eine Marge für Interpretationen. Die Gefahr für die anderen Menschen bei Fuße, so wie mich ist aber größer, weil wir nicht durch eine Struktur aus Rädern beschützt werden. Ich bin doch schon ein paar Mal hier in Leuven erschrocken als Danny hinter der Ecke herangesurrt kam. Glücklicherweise funktioniert das Bremsen schneller als ich selber reagieren kann, deshalb sind zum Glück keine Unfälle passiert, denn das hätte vor allem in unseren Beinen schmerzen ausgelöst.

Dieses Thema wollte ich deshalb stärker hervorheben, weil ich der Meinung bin, dass man sein Gefühl für den Humor nie verlieren darf, in keiner Weise. Ich habe auch während des Kontaktwochenendes gemerkt, dass manche Patienten untereinander sehr wohl Humor haben können. Unter anderem über ihre Rollstühle wobei es eigentlich manchmal lustig ist, aber es ist „not done“, um darüber viele Witze machen zu können, wenn man selbst nicht in einem Wägelchen sitzt – einem Rollstuhl also – oder man nicht selber ALS hat. Ich versuche hiermit auch einen Einblick davon wiederzugeben, und tue das natürlich nie, um Spot hervorzurufen, jedoch um deutlich zu machen, wie dies auch Teil der Besonderheit einer Gruppe Menschen ausmacht mit einem Gemeinschaftlichen Ziel, dem Lernen leben mit der Krankheit ALS. Gerade, weil es auch irgendwo dasselbe ist, wie das Normale. Und das finde ich dann schön, eine Schönheit dieser Menschen, des Menschen als soziales Wesens, schön, dass das auch passiert unter schwierigen Umständen und dass dies auch vom Patienten selbst ausgehen kann, die letztendlich doch Stück für Stück bereits viel mitgemacht haben und sich auf alle Fälle vom letztendlichen Verlauf der Krankheit ALS sehr wohl bewusst sind.

Es ist nicht fair: Diese Menschen haben niemals etwas verbrochen. Ich weiß, es ist was es ist und es ist was es sein muss, so sei es, jetzt und für immer. So muss sich Nietzsche Mut zugesprochen haben, und so möchte ich mit meinem Gedanken einen Ansatz schaffen, um nie den Mut zu verlieren und den Kampf gegen ALS niemals aufzugeben. Respekt!

 

Tristan Herftijd

Sugar Mountain, September 2013

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