“Halten Sie durch und genießen Sie jeden Augenblick mit Ihren Geliebten”

←zurück nach Erlebnisberichte zu pALS

Im Dezember 2016, während eines Spaziergangs, überfiel die Kälte plötzlich Philippe Coisne und bekam er steife Finger trotz der warmen Handschuhe die er trug. Als getriebener Spaziergänger, Außenmensch, diplomierter Naturführer und besonders als ehemaliger Taucher bei der belgischen Marine und den Parakommandotruppen empfand er dies als ziemlich sonderbar. In erster Instanz kam ihn Reuma in Gedanken. Dies erschien ihm wegen seiner vielen harten Übungen in manchmal winterlichen Umständen nicht unlogisch. Die Wirklichkeit sah jedoch ganz anders aus. 

Wann erfolgten die ersten Symptome von pALS?
Während eines winterlichen Spaziergangs in den Ardennen mit Freunden, alle so wie ich sportliche Spaziergänger und Treckers, empfand ich große Schwierigkeiten infolge der Kälte und die Hände waren steif trotz der warmen Handschuhe. In den folgenden Monaten wurden meine Hände noch steifer und erfolgten Vibrationen in den Armmuskeln. Auf die Dauer wollte ich nicht mehr die Hecke beschneiden oder Holz hacken. Die Maschinen erwiesen sich als zu belastend. Im Mai 2017, während einer Garten-party meiner Enkelin, meinten alle, dass ich müde und bleich aussah. Jemand der nachher die Fotos der Party erblickte, rief uns an da er wissen wollte was los war. Nachdem meine älteste Tochter, eine Krankenschwester, darauf bestanden hatte, begab ich mich letztendlich zum praktischen Arzt. Da ich meinte, es sei ein Fall von Rheuma, war ich mir sicher, Salbe zu erhalten. Er verwies mich jedoch, wegen einer vermutlichen ALS, sofort an einem Neurologen. 

Wurde die Vermutung vom Neurologen bestätigt? 
An mir keineswegs. Die Dame hat mich untersucht und ein bisschen jäh behauptet : ‘ich werde die Untersuchungsergebnisse an Ihrem praktischen Arzt weiterleiten. Dieser wird Ihnen eine Erklärung abgeben.’ Der praktische Arzt war ganz schön entsetzt hinsichtlich des Verhaltens der Neurologin. Er erklärte mir das Ganze und bestätigte die ALS-Diagnose. Ich lebe im französisch sprechenden Teil Belgiens und dort wird es meistens ‘die Krankheit von Charcot’ genannt. Der praktische Arzt verwies mich nach einem weiteren Neurologen, der mir riet, mit Meditation anzufangen. Völlig entmutigt nach all diesen Besuchen wussten meine Ehefrau Christina und ich nicht mehr wie es weitergehen sollte. Unsere Tochter besorgte uns dann die Daten einer Neurologin im Krankenhaus von Mont Godinne. Nach einer Reihe von jeglichen Prüfungen, bestätigte sie, dass es sich mit Sicherheit um ALS handele und schrieb mir Rilutek vor, teilte mir mit, dass ich in drei Monaten zurückkehren und dass ich so wenig wie möglich Information auf dem Internet suchen sollte. Davon würde man bedrückt. Ich stellt ihr die Frage, ob es im Ausland keine Behandlungen gäbe. Sie antwortete, dass wir nicht so weit gehen sollten und warnte uns vor den vielen Schwindlern die sich überall herumtreiben. Schließlich verwies sie uns an die KU Leuven und Professor Van Damme. Nach all den schrecklichen Nachrichten war es wohl das beste was uns geschehen konnte. 

Wie verlief der Kontakt zu Professor Van Damme?
Dieser kümmert sich ganz klar um seine Patienten. Auch sein multidisziplinäres Team weiß wie sie Patienten gut empfangen müssen. Ich habe sofort meine Teilnahme an alle möglichen Untersuchungen bestätigt. Meines Erachtens erweist es sich als wichtig, dass die schreckliche Krankheit schnellstens und vorzugsweise für immer verschwindet. Professor Van Damme erzählte mir, dass ich aller Wahrscheinlichkeit nach an die träge Variante der Krankheit litt, was mir den Mut gab, den Streit weiterhin zu führen. Es würde sich um die erbliche Form handeln, was sich als wichtig herausstellt für unsere Töchter und Enkelkinder. Um eine endgültige Antwort zu bekommen, schickte Professor Van Damme mein genetisches Material bis hin nach Atlanta in den Vereinten Staaten. 

Wie sind Sie mit der ALS Liga in Kontakt getreten? 
Nach dem Erhalt der feststehenden ALS-Diagnose haben wir alle informiert. Nicht nur unsere Kinder, sondern auch alle Freunde und Bekannte. Allmählich erfuhren wir, dass wir uns bei AVIQ, dem wallonischen Gegenstück zum VAPH, melden sollten. Vorzugsweise so schnell wie möglich, denn genau wie in Flandern muss das persönliche Unterstützungsbudget vor dem 65. Lebensjahr gefragt werden. Meine Ehefrau hat dann die Daten der ALS Liga entdeckt, mit der wir einen Termin vereinbart haben. Wir erhielten dort eine große Menge Auskünfte, auch hinsichtlich AVIQ (Agence pour une Vie de Qualité). Dank AVIQ bekommen wir die nötige Haushaltshilfe und gelingt es uns, unsere Wohnung einzustellen zur bleibenden Wohnstätte. 

Wie geht es jetzt? 
Nach dem ersten Schock erfolgten viele Tränen. Weihnachten 2017 stellte sich heraus als ein trauriges Familienfest bei uns zuhause. Allmählich erfolgte das Gleichgewicht. Die Nachricht lautet : nach vorne schauen und voll vom Leben genießen. Von jedem Augenblick mit unseren Kindern, Schwiegerkindern, Enkelkindern, Familie und Freunde. Meine Ehefrau Christina hat zwei Gedichte zu meinen Ehren verfasst. Das erste für unser Hochzeitstag und das zweite für mein Geburtstag, welche beide im Dezember 2017 stattfanden : 

Mein Liebchen und ich 
Ich und mein Liebchen 
ALS versucht uns auseinander zu treiben 
Unser Motto jedoch lautet : wir schwingen weiter 
Christina Lambrecht

Wenn ALS sich meldet 
Mit Höhen und Tiefen
Mit fallen und aufstehen
Mit Verzweiflung und recht gern
Mit besonders weitermachen
Mit einem weinen und einem lachen
Meldet sich jeder Tag.

Siehe dich umher 
Du bist nicht allein!
Und saget vor allem wie sehr ihr euch liebhabt.
Christina Lambrecht

Ich habe die träge Variante, doch bestimmte Funktionen gehen zurück. Meine Hände und besonders meine Finger z.B. Darüber werde ich böse. Ich bin jemand der gerne selbst das Haus auffrischt und im Garten arbeitet. Ich besitze auch weniger Muskelkraft in den Armen, aber meine Lungen und Beine sind noch in Ordnung. Ab und zu laufe ich, zwar ruhiger als vorher und für weniger lange Strecken. Ich besuche wöchentlich den Physiotherapeuten der mir die geeignete Übungen erteilt. Zusammen mit meiner Ehefrau bin ich sogar Rad gefahren in Zeeland und Süd-Frankreich. Und im März begleite ich erneut meine Freunde auf Wanderfahrt. Zum Glück finde ich Stütze bei meinen Kindern und besonders bei meiner Ehefrau Christina.

Christina arbeitet aktiv als freiwillige im das Übersetzungsteam der ALS Liga. Immer wenn sie wichtige Information übersetzen muss bezüglich eventuelle neue Medikation oder Behandlungen, meldet sie mir das ganz offen. Es tut mir gut zu wissen, dass Spezialisten wie Philip Van Damme oder weitere Wissenschaftler auf der Welt intensiv nach einer Lösung suchen. Es ist mein größter Wunsch dass ich mittels Teilnahme an Untersuchungen ein Beitrag zur Lösung liefern kann. Zudem hoffe ich, wegen der trägen Variante von ALS, dass ich profitieren kann von einer Behandlung oder Medikation. 

Welche Mitteilung möchten Sie weiteren ALS-Patienten übermitteln? 
Mir fällt es, wegen der trägen Variante von ALS, möglich leichter um positive Berichte zu verbreiten. Aber was bedeutet die träge Variante? Statt drei Jahren, vielleicht fünf, zehn oder sogar darüber hinaus? Oder eher weniger? Niemand weiß darüber Bescheid. Ich erzähle gerne nachstehende Anekdote. Bei unserer Fahrt nach Leuven im Hinblick auf meine erste Teilnahme an der INSPIRED-Untersuchung, geführt von Professor Van Damme, erfuhren wir im Radio vom Tode Stephen Hawkings. Dies geschah am 14. März 2018. Wir wurden ganz leise. Und dann klang im Radio ‘What a wonderful world’ gesungen von Louis Armstrong. Meine Mitteilung an andere pALS lautet demzufolge: halten Sie durch und genießen Sie jeden Moment mit Ihren Geliebten. Machen Sie all dasjenige, was Sie noch tun können. Denken Sie positiv, auch wenn es manchmal schwerfällt. Vereinsamen Sie nicht, sprechen Sie über Ihre Krankheit. Und genießen Sie vom Leben!

 

Übersetzung: Eric Kisbulck

Share